Beinahe alle heute in Deutschland ausgestellten Arbeitszeugnisse enthalten sprachlich abgestufte Formulierungen, die man Schulnoten zuordnen kann. Das bekannteste Beispiel für diese "Zeugnissprache" ist die Zufriedenheitsformel:

"stets zu unserer vollsten Zufriedenheit" (Note 1 bzw. sehr gut),
"stets zu unserer vollen Zufriedenheit" (Note 2 bzw. gut),
"zu unserer vollen Zufriedenheit" (Note 3 bzw. befriedigend/durchschnittlich),
"zu unserer Zufriedenheit" (Note 4 bzw. ausreichend),
"insgesamt zu unserer Zufriedenheit" (Note 5 bzw. mangelhaft).[1]

Im Folgenden erklären wir, wie das Benotungsprinzip der Zeugnissprache funktioniert und welche Bedeutung es in der Praxis für die Beurteilung und Auswahl von Arbeitnehmern hat.

Das Benotungsprinzip der Zeugnissprache

Im Zuge sozialer Reformbemühungen der 1970er-Jahre wurde gefordert, Arbeitszeugnisse transparent zu gestalten. Dazu wurden Textbausteine publiziert, denen Schulnoten zugeordnet waren.[2] Auf dieser Grundlage haben in den 1980er-Jahren Autoren von Arbeitszeugnis-Ratgebern und Software-Tools die Zeugnisschreibung systematisiert: Datenbanken mit nach Noten abgestuften Textbausteinen sollten das Schreiben und Auswerten von Arbeitszeugnissen erleichtern. So entstand die heute gebräuchliche Zeugnissprache mit folgenden Abstufungstechniken: [3]

Sehr gute Beurteilungen werden durch ein Temporaladverb (stets, jederzeit, immer) in Kombination mit einem Superlativ (vollst, größt, höchst) oder mit dem Adverb "sehr" gekennzeichnet:

Sie führte ihre Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit aus.
Ihre Leistungen waren jederzeit sehr gut.
Er arbeitete immer absolut zuverlässig und selbständig.

Gute Beurteilungen werden durch ein Temporaladverb (stets, jederzeit, immer) gekennzeichnet:

Sie führte ihre Aufgaben stets zu unserer vollen Zufriedenheit aus.
Ihre Leistungen waren jederzeit gut.
Er arbeitete immer zuverlässig und selbständig.

Befriedigende Beurteilungen enthalten weder Temporaladverbien noch Superlative, sondern nur positiv wirkende Adjektive/Adverbien (groß, voll, erfolgreich, gut etc.):

Sie führte ihre Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit aus.
Ihre Leistungen waren gut.
Er arbeitete zuverlässig und selbständig.


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Unterdurchschnittliche Beurteilungen werden durch das Fehlen positiv wirkender Adjektive und oft auch durch einschränkende Adverbien (insgesamt, grundsätzlich, weitgehend, auch etc.) gekennzeichnet. Dabei kennt die Zeugnissprache kein System für eine klare Unterscheidung zwischen den Noten 4 und 5:

Sie führte ihre Aufgaben zu unserer Zufriedenheit aus.
Ihre Leistungen waren zum großen Teil gut.
Er arbeitete weitgehend zuverlässig und selbständig.

Die meisten Textbausteine in Fachbüchern und Zeugnis-Software sind auf diese Weise nach Noten abgestuft. Aber nicht alle. Im Laufe der Jahre haben kreative Autoren auch Textbausteine erfunden, die nach anderen Prinzipien oder unsystematisch abgestuft sind.[4] Dennoch ist das hier beschriebene Benotungsprinzip bis heute eine zentrale Grundlage der Zeugnisschreibung und Zeugnisanalyse.

Vorteile des Benotungsprinzips

1. Eine auf benoteten Textbausteinen aufbauende Zeugnissprache ermöglicht einen effizienteren Umgang mit Arbeitszeugnissen: Arbeitgeber können mit ihrer Hilfe (und darauf basierender Software) Zeugnisse schneller schreiben.

2. Die Verwendung bekannter benoteter Textbausteine kann eine schnelle Arbeitszeugnis-Analyse erleichtern. Auch wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass mehrere Leser ein Zeugnis ähnlich interpretieren.

Nachteile des Benotungsprinzips

1. Da es sich um kein geschlossenes System handelt, sondern nur um Versuche der Systematisierung, kommt es auch zu Unstimmigkeiten.[5] Zum Beispiel wird die Zufriedenheitsformel "zur vollsten Zufriedenheit" (ohne "stets") in verschiedenen aktuellen Fachbüchern den Notenstufen 1-2 oder 2 zugeordnet, in älteren Fachbüchern sogar der Notenstufe 2-3.[6]

2. Eine Fixierung auf Textbausteine und Noten sowie die Verwendung von Zeugnis-Software führen zu austauschbar wirkenden Arbeitszeugnissen. Diese sind als Beurteilungs- und Auswahlinstrumente für Arbeitgeber (und damit auch als Werbeinstrumente für Arbeitnehmer) nur von geringem Wert.

Bedeutung für die Personalauswahl

Personalprofis verschwenden keine Zeit mit der "Entschlüsselung" von Zeugnissprache. Stattdessen sehen sie auf den Gesamteindruck und die im Zeugnis enthaltenen Fakten, also Stellenbeschreibung und ggf. konkrete Arbeitserfolge. Auch dem Schlussabsatz mit Dank, Bedauern und Zukunftswünschen sowie der Zufriedenheits­formel werden Bedeutung zugemessen. Beim Lesen der einzelnen Bewertungen von Bereitschaft, Befähigung, Fachwissen etc. nehmen Profis die Unterschiede zwischen positiven und eher zurückhaltenden Beurteilung wahr, ohne aber darüber nachzudenken, um welche Noten es sich hier handelt.

Erfahrene Personaler benutzen das Benotungsprinzip als Hilfsmittel zur Vereinfachung der Zeugnisschreibung. Dabei wissen sie, dass eine präzise, eindeutige Benotung durch Zeugnissprache unmöglich ist.[7] Manche lehnen das Benotungsprinzip auch ab und fordern die Formulierung von Zeugnissen im Klartext.[8] Andere dagegen fordern die Einführung von Notenziffern, wieder andere die Abschaffung des beurteilenden Teils in Zeugnissen.[9]

Tipps für die Praxis

Tipp 1: Individualität und Fakten zählen mehr als Noten

Ein Zeugnis, das nur aus Standard-Textbausteinen besteht, ist als Auswahlinstrument von geringem Wert. Das gilt vor allem für Beurteilungen von Mitarbeitern mit viel Verantwortung: Hier erwarten Leser Hinweise auf Arbeitserfolge, individuellen Fähigkeiten und Stärken. Sofern Sie Textbausteine bzw. Software verwenden, sollten Sie den Text insbesondere bei der Beurteilung der Arbeitsbefähigung, des Fachwissens und der Arbeits­ergebnisse bei Bedarf individuell anpassen. Wenn Sie

A. das oben beschriebene Benotungsprinzip berücksichtigen,
B. den Mitarbeiter gemäß den Stellenanforderungen individuell beurteilen und
C. die zentralen Arbeitserfolge (aus Sicht des Unternehmens!) nennen,

dann ist es sehr wahrscheinlich, dass der Leser das Arbeitszeugnis in Ihrem Sinne versteht.

Tipp 2: Nur die Noten 1 bis 3 verwenden

Die Verwendung von Textbausteinen, die den Schulnoten 4 bis 6 entsprechen, ist problematisch: Erstens können Arbeitgeber durch derartige Beurteilungen im Streitfall beweispflichtig werden.[10] Zweitens ist bei solchen Textbausteinen aus dem Wortlaut manchmal nicht erkennbar, dass es sich um negative Einschätzungen handelt. Es besteht also Gefahr, dass sie als verbotene Zeugniscodes gegen (§ 109 GewO) verstoßen.[11]

Wegen dieser Probleme entsprechen heute über 95% aller Zeugnisse den Notenstufen 1 bis 3.[12] Wir haben de facto ein dreistufiges Beurteilungssystem, bei dem die Note 3 (die nach Urteil des BAG den durchschnittlichen Arbeitnehmer kennzeichnen soll!) in der Praxis bereits als Kritik gilt.[13]

Um Kritik zum Ausdruck zu bringen, genügt es, bekannte Textbausteine der Note 3 zu verwenden und keine Aussagen zu Arbeitserfolgen zu machen. Von der Verwendung von Ironie oder sprachlichen Tricks zur verdeckten Abwertung ist mit Blick auf die Urteilspraxis der Arbeitsgerichte ebenso abzuraten wie vom "beredten Schweigen" (dem Weglassen zu erwartender Beurteilungen).

Quellen & Anmerkungen

  1. Siehe u.a.: Weuster/Scheer: "Arbeitszeugnisse in Textbausteinen", 14. Auflage. Stuttgart u.a.: Boorberg Verlag, 2019. 111.; Schleßmann: "Das Arbeitszeugnis", 22. Auflage. Frankfurt am Main: Verlag Recht und Wirtschaft, 2018. 218.; Urteil des LAG Hamm vom 13.02.1992 - 4 Sa 1077/91; Urteil des BAG vom 14.10.2003 - 9 AZR 12/03.

  2. Ziel dieser Reformbemühungen war, "die Zeugnissprache von dem Verdacht der Geheimniskrämerei zu befreien" und "die Beurteilung für jeden Arbeitnehmer nachvollziehbar und klar erkennbar" zu machen. (Schleßmann: "Das Arbeitszeugnis", 12. Auflage. Heidelberg: Verlag Recht und Wirtschaft, 1992. 92-93.) Ausgangspunkte dieser Reformen waren die 1976 und 1977 publizierten Untersuchungen der Linguisten Presch und Gloy über Codes in Zeugnissen und die gleichzeitige Thematisierung einer "Geheimsprache" der Arbeitgeber in Presse und Fernsehen.

  3. Seit Ende der 1980er-Jahre publizieren Weuster/Kersten (später Weuster/Scheer) das Fachbuch "Arbeitszeugnisse in Textbausteinen", welches zum Standardwerk für Zeugnisschreiber wurde und enormen Einfluss auf die Systematisierung der Zeugnissprache hatte. Von Beginn an wurde eine Zeugnissoftware zum Buch mit einer großen Sammlung an Textbausteinen angeboten. Andere Unternehmen, allen voran der Haufe-Verlag, erkannten das Potenzial dieses Produkts und entwickelten in den folgenden Jahren Software kombiniert mit Print-Ratgebern. Heute ist die überwiegende Zahl der Musterformulierungen in den meisten Publikationen zur Zeugnisschreibung nach diesem Schema gestaltet und abgestuft. Das Prinzip wird u.a. von Weuster/Scheer (13. Auflage, 209) sowie von Schleßmann (22. Auflage, 247-248) beschrieben.

  4. Zum Beispiel verursacht die folgende Leistungszusammenfassung aus den Publikationen des Haufe-Verlags oft Diskussionen. Denn sie sieht in der Notenstufe 1 (sehr gut) ähnlich aus wie die allseits bekannte gute Gesamtbeurteilung "stets zu unserer vollen Zufriedenheit":

    Seine Leistungen haben jederzeit und in jeder Hinsicht unsere volle Anerkennung gefunden. (Note 1)
    Seine Leistungen haben jederzeit unsere volle Anerkennung gefunden. (Note 2)
    Seine Leistungen haben unseren Erwartungen und Anforderungen in jeder Hinsicht voll entsprochen. (Note 3)

    Die Abstufung durch Einsatz des aufwertenden Elements "in jeder Hinsicht" bei den Noten 1 und 3 (!) wirkt verwirrend. Derartige Textbausteine mit kreativen Notenabstufungen kommen wegen des Konkurrenzdrucks am Softwaremarkt seit den 90er-Jahren vermehrt auf den Markt und führen zu Verwirrung und Streit. Quelle dieser Textbausteine: Knobbe/Leis/Umnuß: "Arbeitszeugnisse für Führungskräfte [...]", Freiburg u.a.: Haufe, 2006. 103-104.


  5. Der Versuch einer Systematisierung der Zeugnisschreibung erfolgte seit den 1970er-Jahren durch diverse Fachpublikationen sowie in den 1990er Jahren durch das LAG Hamm, welches durch eine Reihe von Urteilen die Bedeutung und Notenzuordnung von Zeugnisformulierungen festgelegt und damit die Fachliteratur und die Praxis der Zeugnisformulierung geprägt hat. (Mehr zu diesem Thema schreibt Monika Huesmann in ihrer Studie "Arbeitszeugnisse aus personalpolitischer Perspektive". Wiesbaden: Gabler Verlag, 2008. 68-69.)

    Das BAG hingegen betonte in mehreren Urteilen die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers bei der Zeugnisformulierung. So ist laut Urteil des BAG vom 14.10.2003 (9 AZR 12/03) dem Arbeitgeber "gesetzlich nicht vorgegeben, welche Formulierungen er im Einzelnen verwendet [...]. Auch steht ihm frei, welches Beurteilungssystem er heranzieht." In einem weiteren Urteil vom 20.02.2001 (9 AZR 44/00, unter Verweis auf ein Urteil vom 29.07.1971 - 2 AZR 250/70) forderte das BAG: "Das Zeugnis muss deshalb allgemein verständlich gefasst sein. In diesem Rahmen ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei in der Formulierung des Zeugnisses, so lange das Zeugnis nichts Falsches enthält [...]".

    Doch setzt auch das BAG im erwähnten Urteil vom 14.10.2003 der Gestaltungs- und Interpretationsfreiheit Grenzen: "Benutzt der Arbeitgeber allerdings ein im Arbeitsleben übliches Beurteilungssystem, so ist das Zeugnis so zu lesen, wie es dieser Üblichkeit entspricht. Das gilt auch für eine zusammenfassende Endbeurteilung, die für das weitere berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers von erheblicher Bedeutung ist. Bei einer Fülle von Bewerbungen werden eingereichte Zeugnisse vielfach nur "diagonal" überflogen und das Augenmerk auf die Schlussnote gerichtet. Deren Formulierung kann daher den Ausschlag geben, ob der Bewerber zum Vorstellungsgespräch gebeten wird und sich damit seine Chancen auf eine Einstellung erhöhen." Zitat aus dem Urteil des BAG vom 14.10.2003, 9 AZR 12/03.


  6. Weuster/Scheer, 14. Aufl. 120; Huber/Müller: Das Arbeitszeugnis in Recht und Praxis. Freiburg u.a.: Haufe Verlag, 2009. 70.

  7. Siehe z.B. Weuster/Scheer, 14. Aufl. 181-182; Schleßmann, 22. Aufl. 204, 207-208.

  8. Siehe Karl-Heinz List, "Das zeitgemäße Arbeitszeugnis", 4. Auflage. Nürnberg: Bildung und Wissen Verlag, 2009. 8-9. (9 AZR 44/00).

  9. Der Autor Karl-Heinz List fordert in seinen Fachpublikationen seit Jahren Klartext-Zeugnisse ohne benotete Textbausteine. Der Autor Hein Schleßmann hingegen fordert seit Jahren die Einführung von Notenziffern. Und der Personalberater Frank Adensam führt seit 2010 mit beeindruckender Medienpräsenz eine Initiative zur Abschaffung der Beurteilungen in Arbeitszeugnissen; siehe zum Beispiel folgenden Artikel

  10. Siehe z.B. Urteil des BAG vom 24.03.1977 (3 AZR 232/76).

  11. Zwei Beispiele:

    "Er führte die ihm übertragenen Aufgaben mit großem Fleiß und Interesse durch." (Note 5) [Knobbe, Leis, Umnuß 104; ähnlich bei Weuster/Scheer, 14. Aufl. 273]

    "Wir lernten sie als kompetente Mitarbeiterin kennen." (Note 5) [Duden: "Das richtige Arbeitszeugnis". Mannheim: Verlag Bibliographisches Institut AG, 2010. 135.]

    Diese Beurteilungen lassen das enthaltene negative Urteil anhand ihres Wortlauts nicht klar erkennen. Die Verwendung solcher verdeckt negativen Beurteilungen kann im Streitfall evtl. als Verstoß gegen die Gewerbeordnung gewertet werden. § 109 GewO verbietet Formulierungen, "die den Zweck haben, eine andere als [...] aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen".

    Die ähnliche Formulierung "Wir lernten sie als umgängliche Kollegin kennen" wurde vom LAG Hamm (17.12.1998, 4 Sa 630/98) als unerlaubter Geheimcode betrachtet. Mehr zum Thema "Geheimcode" erfahren Sie auf der Themenseite Codes der Zeugnissprache.


  12. Nach einer 2010 durchgeführten Studie der Personalmanagement Service GmbH Schiller & Redekop entsprachen von rund 1000 Zeugnissen 42% der Note 1 oder 1-2, 37% der Note 2 oder 2-3 und 16% der Note 3. In einer ähnlichen Studie der Autorin Barbara Huesmann im dem Jahr 2008 auf Basis von 411 Zeugnissen waren sogar nur 3% der Zeugnisse schlechter als befriedigend [Huesmann 206]. Weuster/Scheer stellten anhand einer eigenen Studie bereits 1994 fest, dass "die zusammenfassende Zufriedenheitsformel bei Arbeitern und Angestellten zu rund 90 % und bei Führungskräften fast zu 100 % den Notenstufen Sehr gut bis Befriedigend entspricht." [Weuster/Scheer 107]

  13. Weuster/Scheer fordern folgerichtig, die gute Gesamtbeurteilung als Durchschnitt zu betrachten: "Die Formel 'zu unserer vollen Zufriedenheit' charakterisiert nach der Häufigkeit ihrer Verwendung in der Praxis keine durchschnittliche, sondern eine unterdurchschnittliche Bewertung. Den Normalfall bildet praktisch die gute Formel 'stets zu unserer vollen Zufriedenheit', sodass unseres Erachtens diese zum Ankerwert der Beurteilung genommen werden müsste." [Weuster/Scheer, 14. Aufl. 118]

    Das BAG hat aber 2014 seine früheren Urteile bestätigt und besteht darauf, dass es sich bei der Gesamtbeurteilung "zu unserer vollen Zufriedenheit" "um die Bescheinigung einer durchschnittlichen Leistung entsprechend einer mittleren Note in der Zufriedenheitsskala" handelt. BAG 14.10.2003, 9 AZR 12/03.


  14. Das Standardwerk der 1960er Jahre von Dr. Karl Schlessmann ("Das Arbeitszeugnis", Verlagsgesellschaft Recht und Wirtschaft, Heidelberg) kennt noch keine Notenzuordnungen. Und die Autoren Küchle, Hessel und Bopp gehen in ihrer von 1970 bis 1989 in 10 Auflagen im Boorberg Verlag erschienenen Publikation "Zeugnismuster für die betriebliche Praxis" zunächst noch von einer vierstufigen Skala aus:

    1. "zu unserer vollsten Zufriedenheit" (überdurchschnittlich, sehr gut)
    2. "zu unserer vollen Zufriedenheit" (durchschnittlich bis gut)
    3. "zu unserer Zufriedenheit" (mäßig, aber noch brauchbar)
    4. "hat sich bemüht" (ungenügend)

    Dabei lehnen Küchle, Hessel und Bopp die Verwendung des heute für die Notenabstufung wichtigen Temporaladverbs "stets" noch in der vierten Auflage (1976, 155) grundsätzlich ab; sie bezeichnen "stets" ohne Begründung als "billige Allerweltsfloskel".

    1977 stellen die Linguisten Gunter Presch und Klaus Gloy in einer Studie über die Sprachverwendung in Arbeitszeugnissen unter Berufung auf die Deutsche Angestelltengewerkschaft eine sechsstufige Skala vor, welche in ähnlicher Form ihren Weg in die bis heute wichtigsten Publikationen zur Zeugnisschreibung von Weuster/Scheer ("Arbeitszeugnisse in Textbausteinen") und Schleßmann ("Das Arbeitszeugnis") findet. Siehe Presch, Gunter; Gloy, Klaus: "Exklusive Kommunikation: Verschlüsselte Formulierungen in Arbeitszeugnissen". In: Sprachnormen II. Hg. Presch, Gunter; Gloy, Klaus. Stuttgart: poblemata frommann-holzboog, 1977. S. 168-181.


  15. Beispiele hierfür liefern die auf der Info-Seite "Historische Arbeitszeugnisse" dargestellten und transkribierten Originalzeugnisse aus dem 19. Jahrhundert.

  16. Siehe Presch 345.

  17. Siehe Gunter Presch: "Verdeckte Beurteilungen in Arbeitszeugnissen: Ein Streitfall vor Gericht nebst Anhang mit historischen Dokumenten". Deutsch-deutsche Kommunikationserfahrungen im arbeitsweltlichen Alltag. Hg. Barz, Irmhild; Fix, Jutta. Sprache – Literatur und Geschichte, Studien zur Linguistik/Germanistik. Bd. 16. 1997. 329-330.