Mitte der 1970er-Jahre veröffentlichten diverse Medien eine Liste mit Arbeitszeugnis-Codes, um Arbeitnehmer vor diesen zu warnen.[1] Diese Codes der Zeugnissprache werden bis heute in der Fachliteratur abgedruckt. Und weil Arbeitsgerichte immer wieder neue unzulässig verschlüsselte Formulierungen bemängelten, wurde die Liste im Laufe der Jahre länger.[2] Hier ist eine Übersicht (durch Klick auf jeden Code erhalten Sie den Klartext und Quellenangaben):

Klartext: Er ist ein Bürokrat ohne Eigeninitiative.

Varianten:
Er erledigte alle Aufgaben pflichtbewusst und ordnungsgemäß.
Er erledigte die Aufgaben stets ordentlich.
Er ist seinen Aufgaben vorschriftsmäßig und pünktlich nachgekommen.

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. Knobbe 2006. Hesse 2008. Huber 2009. Duden 2010. Schleßmann 2012. Weuster 2015.

Klartext: Er hat sich angestrengt, aber nichts geleistet.

Varianten:
Er zeigte reges Interesse an seiner Arbeit.
Er widmete sich seiner Arbeit mit Interesse und erzielte entsprechende Erfolge.

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. Huber 2009. Duden 2010. Schleßmann 2012. Weuster 2015.

Klartext: Er war eifrig, aber nicht tüchtig.

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. Knobbe 2006. Hesse 2008. Huber 2009. Schleßmann 2012.

Klartext: Pünktlichkeit war seine einzige Stärke.

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. Hesse 2008. Huber 2009. Duden 2010. Schleßmann 2012.

Klartext: Aber er war nicht in der Lage, das Neue richtig zu erfassen und anzuwenden.

Quellen: Lucas 1986. Schleßmann 2012.

Klartext: Sie führte viele Privatgespräche.

Quellen: Knobbe 2006. Duden 2010. Weuster 2015.

Klartext: Er ist arrogant und sein Fachwissen begrenzt.

Quellen: Lucas 1986. Duden 2010. Knobbe 2006. Huber 2009. Schleßmann 2012.

Klartext: Sie hat von sich eine hohe Meinung und akzeptiert keine sachliche Kritik (Querulantin).

Quellen: LAG Hamm 17.12.1998 – 4 Sa 630/98. Huber 2009. Duden 2010. Schleßmann 2012.

Klartext: Er war ein Wichtigtuer, dem es an Kooperationsbereitschaft fehlt.

Quellen: Lucas 1986. LAG Hamm 17.12.1998 – 4 Sa 630/98. Knobbe 2006. Hesse 2008. Huber 2009. Duden 2010.

Klartext: Er war unbeliebt.

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. LAG Hamm, 17.12.1998 – 4 Sa 630/98. Knobbe 2006. Hesse 2008. Huber 2009. Duden 2010.

Klartext: Er kam schlecht mit den Vorgesetzten zurecht.

Quellen: Lucas 1986. LAG Hamm 17.12.1998 – 4 Sa 630/98. Knobbe 2006. Hesse 2008. Huber 2009.

Klartext: Er war vorlaut / schwierig im Umgang.

Variante: Den Vorgesetzten trat er offen und frei entgegen. Auch seine Kollegen sehen ihn als eigenständigen Charakter.

Quellen: Knobbe 2006. Huber 2009. Duden 2010. Weuster 2015.

Klartext: Er ist ein Mitläufer, der sich gut anpasst.

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. Hesse 2008. Huber 2009. Duden 2010.

Klartext: Alkoholprobleme.

Varianten:
Durch ihre gesellige Art trug sie zur Verbesserung des Betriebsklimas bei.
Aufgrund seiner anpassungsfähigen und freundlichen Art war er im Betrieb sehr geschätzt. (Lucas)

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. Knobbe 2006. Hesse 2008. Duden 2010.

Klartext: Er suchte sexuelle Kontakte.

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. Knobbe 2006. Hesse 2008. Duden 2010.

Klartext: Suchte homosexuelle Kontakte.

Variante: Für die Belange der Mitarbeiter hatte sie ein umfassendes Verständnis.

Quellen: Presch 1976. Lucas 1986. Knobbe 2006. Hesse 2008. Duden 2010.

Klartext: Sie ist eigensüchtig und nörgelt gerne.

Quellen: LAG Hamm 17.12.1998 – 4 Sa 630/98. Huber 2009. Duden 2010. Schleßmann 2012.

Klartext: Er konnte sich nicht durchsetzen bzw. wurde nicht respektiert. Nicht leistungsorientiert.

Variante: Er war seinen Mitarbeitern jederzeit und in jeder Hinsicht ein verständnisvoller / angenehmer / liberaler / wohlwollender Vorgesetzter.

Quellen: Knobbe 2006. Duden 2010. Weuster 2015.

Klartext: Diebstahl von Firmeneigentum.

Variante:
Er hat alle Aufgaben in seinem und im Interesse der Firma gelöst.

Quellen: Lucas 1986. Knobbe 2006. Duden 2010.

Dieser im beruflichen Kontext etwas übertrieben wirkende Zukunftswunsch soll Ironie zum Ausdruck bringen und damit besagen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nichts Gutes wünscht bzw. dass es keinen Anlass für gute Wünsche gibt.

Varianten: Unsere besten Wünsche begleiten ihn.

Quellen: Knobbe 2006. Hesse 2008. Duden 2010.

Warum gibt es "Zeugniscodes"?

Ein Arbeitszeugnis hat zwei Aufgaben: Es soll 1. wahrheitsgemäß über den Zeugnisinhaber informieren und 2. sein berufliches Weiterkommen erleichtern. Ein Zeugnis, das eine gute Leistung beurteilt, kann diese beiden Aufgaben gleichzeitig erfüllen: Es lobt den Arbeitnehmer wahrheitsgemäß und fördert damit seine weitere Karriere.

Ein Zeugnis, das eine unterdurchschnittliche Leistung beurteilt, kann aber nur eine der beiden Aufgaben erfüllen: Es kann wahrheitsgemäß Kritik üben, erschwert damit aber das berufliche Weiterkommen. Oder es kann durch Verschweigen der Kritik das berufliche Weiterkommen erleichtern, informiert damit aber nicht wahrheitsgemäß.

Dieses Problem betrifft nicht nur Arbeitszeugnisse, sondern jede Art der sprachlichen Beurteilung. Gelöst wird es traditionell durch diplomatische Sprache, die Kritik höflich und respektvoll formuliert. In Zeugnissen und Empfehlungsschreiben wird seit Jahrhunderten so verfahren.[3]

Bei den oben aufgelisteten Codes handelt es sich im Grunde um diplomatische Aussagen und ihre "Entschlüsselung" im Klartext. Allerdings sind diese manche dieser Aussagen so formuliert, dass die enthaltene Kritik nur für erfahrene Zeugnisleser erkennbar ist. Damit wird der beurteilte Arbeitnehmer scheinbar höflich und respektvoll behandelt, tatsächlich aber getäuscht.


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Was ist im Arbeitszeugnis verboten, was erlaubt?

§ 109 der Gewerbeordnung verbietet es, Kritik im Arbeitszeugnis durch doppelbödige Formulierungen auszudrücken. Gleichzeitig fordern Arbeitsgerichte nach dem Grundsatz des "verständigen Wohlwollens" eine diplomatische Formulierung von Kritik![4] Arbeitgeber bewegen sich also beim Schreiben kritischer Zeugnisse auf einer Gratwanderung zwischen einer zu indirekten und einer zu direkten Ausdrucksweise.

Verboten sind Formulierungen, "die den Zweck haben, eine andere als aus [...] dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen"[5]. Demnach sollten die oben aufgelisteten Codes nicht erlaubt sein.

Erlaubt ist, durch die bekannte Abstufung positiver Bewertungen (Positivskala) Kritik zum Ausdruck zu bringen, zum Beispiel durch die Formulierungen:

Er hat seine Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt. (Note 3)
Er hat seine Aufgaben zu unserer Zufriedenheit erledigt. (Note 4)
Er hat seine Aufgaben meist zu unserer Zufriedenheit erledigt. (Note 5)

Hier handelt es sich um eine Systematisierung der Zeugnissprache, die in Deutschland inzwischen Tradition hat.[6]

Allerdings ist die Notenabstufung per Positivskala oft nur in den Notenstufen 1 bis 3 praktikabel. Die Textbausteine, die in der Fachliteratur zur ausreichenden (Note 4) oder mangelhaften (Note 5) Beurteilung von Arbeitsbereitschaft, Arbeitsbefähigung, Fachwissen, Arbeitsweise und Verhalten vorgeschlagen werden, verwenden vielfach Techniken der Codierung, durch die der unbedarfte Leser getäuscht werden soll. Eine Auflistung der wichtigsten dieser für die Praxis untauglichen Textbausteine finden Sie in folgender Fußnote.[7]

Welche Bedeutung haben Codes in Arbeitszeugnissen heute?

In meiner Beratungspraxis legen Kunden manchmal Zeugnisse vor, in denen Codierungstechniken verwendet wurden. Die meisten dieser Zeugnisse enthalten auch andere Auffälligkeiten, zum Beispiel eine sehr knappe Beurteilung, eine fragwürdige Aufgabenbeschreibung, eine schlampige Formatierung, Rechtschreibfehler oder ein Fehlen von Dank, Bedauern und Zukunftswünschen. In der Regel werden diese Zeugnisse nach dem Vorlegen einer Zeugnisanalyse und spätestens nach Hinzuziehen eines Anwalts "entschärft".

Die oben aufgelisteten Codes sind allerdings so bekannt, dass sie kaum in Arbeitszeugnissen verwendet werden. Doch sind durch diese Codes Begriffe wie Pünktlichkeit, Fleiß, Interesse, Einfühlungsvermögen etc. bis heute quasi "vergiftet". Auch wenn sie in bester Absicht verwendet werden, können sie zu Missverständnissen und Streit führen.

Grundsätzlich erschwert die Angst vor "Geheimcodes" heute beiden Seiten den Umgang mit Arbeitszeugnissen. Arbeitnehmer hinterfragen die Formulierungen in ihren Arbeitszeugnissen kritisch. Arbeitgeber hingegen verwenden bevorzugt standardisierte Textbausteine (der Notenstufen 1 bis 3), um keine Fehler zu machen.

Das Problem verdeckter Kritik in Arbeitszeugnissen hat also durchaus noch Bedeutung. Dies wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass der Gesetzgeber bei der Novellierung der Gewerbeordnung 2002 auf die jahrzehntelangen Diskussionen über Codes reagiert und den § 109 entsprechend umformuliert hat.[8]

6 Tipps für Aussteller von Arbeitszeugnissen

Tipp 1: Bringen Sie Kritik durch eine durchschnittliche Beurteilung zum Ausdruck

Falls kritische Beurteilungen erforderlich sind, empfiehlt es sich, die entsprechenden Abschnitte des Zeugnisses knapp zu formulieren und bekannte Textbausteine aus der Fachliteratur zu verwenden, die mit der Schulnote 3 bewertet werden. Obwohl diese Note eigentlich eine durchschnittliche Beurteilung kennzeichnet, werden entsprechende Beurteilungen überwiegend als Kritik aufgefasst. Eine umfassende Darstellung dieses Themas finden Sie auf der Seite Noten in der Zeugnissprache unter "Tipps für die Praxis (2.)".

Tipp 2: Vermeiden Sie Mehrdeutigkeiten und Ironie

Vom Versuch, Formulierungen mit sprachlichen Tricks zu codieren, ist mit Hinblick auf die Urteilspraxis der Arbeitsgerichte abzuraten.

Tipp 3: Vermeiden Sie Lücken bzw. beredtes Schweigen

Es sollten keine beurteilenden Aussagen weggelassen werden, die der Leser des Zeugnisses erwartet (zum Beispiel die Beurteilung des Fachwissens im Arbeitszeugnis eines Fachspezialisten oder die Beurteilung des Verhaltens gegenüber Kunden im Zeugnis eines Verkäufers). Falls solche Beurteilungen im Interesse des beurteilten Mitarbeiters weggelassen werden sollen (weil die Beurteilung wahrheitsgemäß schlecht ausfallen würde), ist eine vorherige Abstimmung mit dem Mitarbeiter zu empfehlen. Das Bundesarbeitsgericht beurteilt das beredte Schweigen als unzulässigen "versteckten Hinweis".[9]

Tipp 4: Vorsicht bei Aussagen zum Charakter bzw. zur Persönlichkeit:

Zurückhaltung ist auch bei Aussagen zu persönlichen Eigenschaften oder Charakterzügen geboten, die leicht fehlinterpretiert werden können oder Diskriminierungspotenzial bergen (z.B. Aussagen zum Humor, zum fröhlichen Wesen oder zum äußeren Erscheinungsbild).

Tipp 5: Vorsicht beim Hervorheben von Selbstverständlichem:

Die meisten der oben aufgelisteten Codes haben eines gemeinsam: Sie heben Selbstverständliches hervor. Es sollte stets überlegt werden, was für das Tätigkeitsprofil des Zeugnisinhabers selbstverständlich ist und was nicht. Beispielsweise können Pünktlichkeit und Interesse an der Arbeit im Zeugnis eines Praktikanten oder Azubis durchaus bescheinigt werden und in einem passenden Kontext positiv wirken. Im Zeugnis einer erfahrenen Fach- oder Führungskraft haben sie aber nichts zu suchen.

Tipp 6: Hinweis auf "uncodiertes" Zeugnis ist sinnlos

Manche Arbeitgeber weisen im Zeugnis darauf hin, dass es sich um ein "uncodiertes" Zeugnis handle. Dieser Hinweis ist sinnlos, weil Codierungen nach § 109 GewO verboten sind und man nicht auf die Selbstverständlichkeit hinweisen muss, dass man sich an geltendes Recht hält. Davon abgesehen werden Leser insbesondere bei einem problematisch wirkenden Zeugnis sich nicht davon abhalten lassen, gemäß ihrer Kenntnis der Zeugnissprache Aussagen zu interpretieren.

Anmerkungen

  1. Besondere Bedeutung hat eine Liste "verschlüsselter Formulierungen in Arbeitszeugnissen", die 1976 von den Sprachwissenschaftlern Gunter Presch und Klaus Gloy publiziert wurde und auf die sich die Autoren von Zeugnisratgebern ebenso wie Arbeitsgerichte bis heute beziehen. Diese Liste zählt 55 codierte Formulierungen auf. Darunter sind allerdings auch etliche inzwischen verkehrsübliche Textbausteine der Zeugnissprache, zum Beispiel die heute allseits bekannten Zufriedenheitsformeln sowie einige Formulierungen, die problemlos als Kritik erkennbar sind. Nur bei 9 dieser Formulierungen handelt es sich aus meiner heutigen Sicht um Verschlüsselungen; sie sind in der Liste oben abgedruckt.

    Die Liste stammte laut Presch von einem Rechtsreferenten der DAG Düsseldorf. (Gunter Presch: "Verdeckte Beurteilungen in qualifizierten Arbeitszeugnissen. Beschreibung, Erklärung, Änderungsvorschläge". In: Politische Sprachwissenschaft. Zur Analyse von Sprache als kultureller Praxis. Hg. Franz Januschek. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1985. S. 308.)

    Viele der Codes in der Liste von Presch und Gloy fallen durch eine antiquierte Sprache und nicht mehr zeitgemäße Werthaltungen auf. Sie sind vom geistigen Klima einer Zeit geprägt, in welcher zum Beispiel Homosexualität ("umfassendes Einfühlungsvermögen") geächtet war und in welcher Frauen als grundsätzlich Männern unterlegene Arbeitnehmer betrachtet wurden. So werden die in der Liste von 1976 genannten Codes unterschiedlich bewertet, je nachdem, ob sie auf einen Mann oder eine Frau angewendet werden. Z.B. wird die Formulierung "Wegen seiner/ihrer Pünktlichkeit war er/sie stets ein gutes Vorbild" in der männlichen Form als "Er war in jeder Hinsicht eine Niete" entschlüsselt, in der weiblichen Form als "Ihre Leistungen liegen unter dem Durchschnitt"! Diese unterschiedliche Bewertung wäre wohl nur dadurch zu begründen, dass gegenüber Frauen (da von Frauen nicht so viel erwartet werden kann?) mehr Nachsicht angebracht sei.

    Sprache und Werthaltungen legen nahe, dass diese Codes aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen oder teils noch älter sind. Und tatsächlich scheinen codierte Zeugnis-Formulierungen aus der fernen Vergangenheit nach wie vor relevant. So beruft sich das LAG Hamm in seinem oben erwähnten Urteil (vom 17.12.1998, 4 Sa 630/98) u.a. auf ein Urteil des LAG Breslau vom 05.03.1935! In der Urteilsbegründung nennt das Gericht als Beispiel für einen Geheimcode das Arbeitszeugnis eines Metzgerlehrlings, in dem die recht antiquiert klingende Aussage gemacht wurde, er sei "getreu bis auf die Knochen", um darauf hinzuweisen, dass er Knochen gestohlen hatte.


  2. Neuere Arbeitszeugnis-Ratgeber nennen auch Codes, die in der Liste von Presch und Gloy noch nicht enthalten waren. Der Ursprung dieser neueren Codes ist teils nachvollziehbar: Sie entstanden dadurch, dass ein Gericht in einem bestimmten Einzelfall eine Formulierung als unzulässigen Code der Zeugnissprache beurteilt hat. Ein Beispiel:

    1998 bewertete das Landesarbeitsgericht Hamm die Aussage "Sie war sehr tüchtig und in der Lage, ihre eigene Meinung zu vertreten" als verschlüsselten Hinweis darauf, dass die Beurteilte "von sich selbst eine hohe Meinung hat und hiervon ausgehend sachliche Kritik nicht zu akzeptieren vermag". (LAG Hamm, 17.12.98, 4 Sa 630/98) In der Urteilsbegründung wies das Gericht darauf hin, dass die strittige Formulierung dem bekannten Code der Zeugnissprache "Er war sehr tüchtig und wußte sich gut zu verkaufen" ähnelt, der besagen soll, dass der Arbeitnehmer "ein unangenehmer Mitarbeiter" war. Zudem bestätigt das Gericht, "dass es einen Geheimcode gibt, dem die vom Beklagten gewählte Formulierung zuzurechnen ist" und dass es "ein Verdienst der Sprachwissenschaft [ist], eine Reihe 'beschönigender' Zeugnisformulierungen nebst Übersetzung veröffentlicht und ausgewertet zu haben." Hier bezieht sich das Gericht auf die erwähnte Liste von Presch und Gloy.


  3. Ausführlich beschrieben wird die Entwicklung der Zeugnissprache in meinem Artikel 500 Jahre Arbeitszeugnis.

  4. Der Grundsatz des "verständigen Wohlwollens" beruht auf einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.11.1963 (VI ZR 221/62): "Oberster Grundsatz ist, dass der Inhalt des Zeugnisses wahr sein muss; das heißt aber nicht, dass bei einem Zeugnis über Leitung und Führung die Verpflichtung zu schonungsloser offener Beurteilung von ungünstigen Vorkommnissen besteht. Das Zeugnis soll von verständigem Wohlwollen für den Arbeitnehmer getragen sein und ihm sein weiteres Fortkommen nicht erschweren."

  5. § 109 GewO.

  6. Diese Tradition wurde durch diverse Fachpublikationen in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren (allen voran "Arbeitszeugnisse in Textbausteinen" von Weuster/Scheer) sowie durch Urteile des LAG Hamm unter dem Vorsitz von Ernst-Dieter Berscheid in den 1990er-Jahren begründet. Hierbei kam man dem Bedarf der Wirtschaft nach Methoden der effizienteren, EDV-gestützten Zeugnisschreibung sowie dem Bedarf der Arbeitnehmer nach transparenten Zeugnissen entgegen.

    Zum Beispiel forderte das LAG Hamm in seinem Urteil vom 17.12.1998 (4 Sa 630/98, 1.2.): "Der Arbeitgeber ist zwar bei der Ausstellung des Zeugnisses grundsätzlich in seiner Ausdrucksweise frei, muß sich aber [...] der in der Praxis allgemein angewandten Zeugnissprache bedienen und bei der Beurteilung des Arbeitnehmers den nach der Verkehrssitte üblichen Maßstab anlegen."

    Das Bundesarbeitsgericht dagegen räumt Arbeitgebern bei der Formulierung von Arbeitszeugnissen Gestaltungsfreiheit ein (20.02.2001, 9 AZR 44/00), wonach auch Klartext-Zeugnisse akzeptabel wären. Es fordert aber auch, dass Beurteilungssysteme gemäß den üblichen Gepflogenheiten zu verwenden sind, wenn sie denn verwendet werden (14.10.2003, 9 AZR 12/03). Dieser Sachverhalt wird ausführlich von Huesmann beschrieben. (Monika Huesmann: Arbeitszeugnisse aus personalpolitischer Perspektive. Wiesbaden: Gabler Verlag, 2008. S. 53-55, 68-70.)



  7. Klartext: Sie hatte die Gelegenheit, hat sie aber nicht genutzt.

    Quelle: Weuster 2015 (Leistungszusammenfassung bei mangelhafter Beurteilung), S. 261.

    Klartext: Wir bestätigen es, weil er es so verlangt hat.

    Quelle: Weuster 2015 (Leistungszusammenfassung bei mangelhafter Beurteilung), S. 261.

    Klartext: Hinweis auf umständliches Arbeiten.

    Quelle: Weuster 2015 (Wissen bei mangelhafter Beurteilung), S. 273.

    Klartext: Hinweis auf umständliches Arbeiten.

    Quelle: Weuster 2015 (Arbeitsweise bei mangelhafter Beurteilung), S. 275.

    Klartext: Gelegentlich halbwegs brauchbare Vorschläge.

    Quelle: Weuster 2015 (Leistungszusammenfassung bei mangelhafter Beurteilung), S. 291.

    Klartext: Es gab Handgreiflichkeiten.

    Quelle: Weuster 2015 (Sozialverhalten bei mangelhafter Beurteilung), S. 360.

    Klartext: Aber er hat diese Grundsätze nicht befolgt.

    Variante: Die Grundsätze und die Handlungsweise eines ordentlichen Kaufmanns waren ihm bekannt.

    Quelle: Weuster 2015 (Sonstiges Verhalten bei mangelhafter Beurteilung), S. 375, 390.

    Klartext: Er war ein Nörgler.

    Quelle: Weuster 2015 (Sonstiges Verhalten bei mangelhafter Beurteilung), S. 390.



  8. Bei der Novellierung der Gewerbeordnung 2002 reagierte der Gesetzgeber auf die jahrzehntelange Diskussion über die Codes der Zeugnissprache. Während der noch aus dem Jahr 1869 stammende und bis 2002 geltende § 113 GewO, der ursprünglich hauptsächlich auf das Verbot kryptografischer Zeichen in Arbeitszeugnissen abzielte, "Merkmale" verboten hat, "welche den Zweck haben, den Arbeitnehmer in einer aus dem Wortlaut des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu kennzeichnen", verbietet der neue § 109 GewO "Merkmale oder Formulierungen [...], die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen" und fügt noch hinzu: "Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein." Allerdings waren bereits auf Basis des alten § 113 GewO verdeckte Beurteilungen (Codes) von Gerichten sanktioniert worden.

  9. Urteil des BAG vom 12.08.2008 (9 AZR 632/07): "Soweit für eine Berufsgruppe oder in einer Branche der allgemeine Brauch besteht, bestimmte Leistungen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers im Zeugnis zu erwähnen, ist deren Auslassung regelmäßig ein (versteckter) Hinweis für den Zeugnisleser, der Arbeitnehmer sei in diesem Merkmal unterdurchschnittlich oder allenfalls durchschnittlich zu bewerten (beredtes Schweigen). Der Arbeitnehmer hat dann Anspruch darauf, dass ihm ein ergänztes Zeugnis erteilt wird. Dies gebieten die Grundsätze von Zeugnisklarheit und Zeugniswahrheit."

    In manchen Fällen kann ein (beredtes) Verschweigen von Tatsachen sogar geboten sein. Z.B. darf die Tatsache einer fristlosen Kündigung bzw. eines Vertragsbruchs eines Mitarbeiters nicht konkret erwähnt, sondern nur durch das "krumme" Austrittsdatum zum Ausdruck gebracht werden (LAG Düsseldorf 22.1.1988 - 2 Sa 1654/87).